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Schicksal als Chance
Das Schicksal, das hier in diesem Beitrag gemeint ist, hat nichts mit Zufall, Strafe oder Sinnlosigkeit zu tun. Ganz im Gegenteil, es wird als Teil eines sehr sinnvollen Lebensplanes verstanden, hinter dem eine höchste Weisheit steht, die unsere Reifung und Entfaltung im Auge hat – eine Entfaltung zum Guten, die wir uns zwar wünschen, aber freiwillig oft nicht vollziehen, weil sie auch mit Erschwernissen zu tun hat. Der Mensch strebt nicht überwiegend nach dem zielgerichtet Sinnvollen, sondern nach dem gerade Angenehmen, mit dem sich bei weitem nicht die Reife und Fähigkeit erwerben lässt, um zu einer wirklichen Lebenserfüllung gelangen zu können. So treten zwingende Umstände auf den Plan und fordern uns auf, zu fragen, nachzudenken, zu verstehen und zu vollziehen, um damit seelisches Reifen und geistiges Wachsen zu erzielen. „Was du in dir nicht freiwillig verwirklichst, das begegnet dir als zwingendes Schicksal" – so lautet ein wichtiges psychologisches Gesetz.
Unser Schicksal hat etwas mit uns selbst zu tun!
Wenn wir am Morgen eines neuen Tages erwachen, dann wünschten wir uns oft, ganz neu beginnen zu können, und bis zu einem gewissen Grad ist es auch möglich, uns mit den gemachten Erfahrungen und mit neuen Perspektiven gestärkt und motiviert weiter auf den Weg zu machen. Aber trotzdem können wir das bereits Vollzogene nicht einfach ungeschehen machen, das bezieht sich auf das Angenehme wie auf das Unangenehme. Wenn wir zum Beispiel Schulden gemacht haben, dann können wir den neuen Tag nicht ohne Schulden beginnen. Die vergangenen Tage und Jahre bestimmen in gewissem Maße unsere weiteren Tage und Jahre. Doch wir können jederzeit zur Einsicht kommen und etwas oder alles in der folgenden Zeit korrigieren und zum Guten verändern.
Wenn wir Menschen die Erkenntnis zulassen könnten, dass unser derzeitiges Leben nur ein winziger Ausschnitt aus unserem gesamten Daseinsweg ist, so würde es uns wesentlich leichter fallen, die sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen, in denen Menschen ihr Leben beginnen, insgesamt als sinnvoll ansehen zu können. Konkret heißt das, dass der Mensch zwar mit einem neuen irdischen Körper, aber mit einer sehr viel älteren Seele und auch mit alten Geschichten auf die Welt kommt. So bringt der Mensch in seiner Seele sowohl bereits entfaltete Talente und Fähigkeiten mit als auch spezifische Probleme und Schicksale als Folge zurückliegender Geschehen. Franz Grillparzer, der große österreichische Dichter, spricht davon, dass wir „aus anderen Zeiten kommen, um fort in andere zu gehen". Und Pythagoras, der griechische Natur- und Religionsphilosoph, spricht von der Sehnsucht nach unserer wahren Heimat in anderen Seinsebenen, die in unserer Seele nach der Menschwerdung noch verblieben ist.
Von diesem Blickwinkel aus gesehen, ist es nicht so schwer, sich vorstellen zu können, dass Schicksal alle vorgegebenen Lebensumstände umfasst, für die wir in unserer Vergangenheit sehr wohl selbst die Voraussetzungen geschaffen haben. Dazu zählen ganz sicher die so wesentlichen Startbedingungen durch unser Elternhaus, durch unser körperliches Erbgut und familiäres Umfeld und dann die schulische, religiöse und kulturelle Entwicklung sowie alle anderen schicksalhaften angenehmen und unangenehmen Marksteine in unserem weiteren Leben, die einfach da sind oder auf uns zukommen, ob wir wollen oder nicht.
Warum haben wir von den Ursachen unseres Schicksals keine Kenntnis?
Eine der plausibelsten Antworten kommt zu dem Schluss, dass wir Menschen in unserer menschlichen Unreife durch die volle Kenntnis unserer Vergangenheit nur schwer zu versöhnlichen Lösungsschritten und guten Neuanfängen fähig wären. Schlechte und bittere Erfahrungen bewegen uns eher in Richtung Angst, Ablehnung und Unversöhnlichkeit. Dies würde jedoch einen segensreichen Wiedergutmachungs- und Entfaltungsprozess hemmen. So fällt bei unserer Geburt der Vorhang des Vergessens über unser Bewusstsein und nur ein ungewisses Ahnen bewegt sich in unserem Inneren - ein Drängen und Zwingen, ein Wünschen und Sehnen. Diese Bewegungen und jene, die von außen auf uns zukommen, formen unser Schicksalsgefüge, in dem wir uns neu zu bewähren haben. Wie sich der in Unordnung geratene menschliche Körper über Fieber-, Entzündungs- und Schmerzprozesse seine Gesundheit zurückholt, so will uns unser Schicksal über die Therapieprozesse des Lebens zur Grundordnung der Liebe zurückführen. Nicht nur unser Körper hat ein Regenerations- oder Immunsystem, sondern auch unsere Seele und die gesamte übrige Natur und Schöpfung. Alles Leben ist mit ordnenden kosmischen Kräften verbunden, die von einem weisen und liebenden Schöpfer in Gang gehalten werden und die uns aus unseren Umwegen immer wieder in eine Ordnung und in einen gesunden geistigen Zustand zurückzuholen versuchen. Unsere Seele weiß das irgendwie, worauf auch ihr grundsätzliches Vertrauen in das Leben beruht, das der eine Urvertrauen und der andere Gottvertrauen nennt.
Uns Menschen fällt das Vergessen meist schwer, und deshalb ist das Verblassen der Vergangenheit eine große Hilfe, um mit neuem Mut und neuen Perspektiven alte Geschichten aufarbeiten zu können, wenn die Zeit dafür reif geworden ist - so wie wir über bohrende, emotional explosive Probleme erst eine Nacht schlafen sollten, damit wir am nächsten Tag besonnene und vernünftige Entschlüsse und Vorsätze zu fassen vermögen.
Die Art des Schicksals gibt das Thema des Lernprozesses vor
Diejenigen von uns, die durch besondere Fähigkeiten, tiefenpsychologische Therapien oder Erlebnisse, wie zum Beispiel durch Nahtoderfahrungen, hinter die Kulissen des Menschseins blicken können, verspüren einerseits die große, barmherzige Hilfe von „oben" durch einen gütigen und weisen Schöpfer aber sie erkennen auf diese Weise auch die Gerechtigkeit und lückenlose Logik von Ursache und Wirkung, von Schuld und Wiedergutmachung. So hat ein demütigendes Schicksal ganz sicher mit einer einstigen Geschichte zu tun, in der Demütigung eine Rolle spielte. Oder wenn Gewalt im Spiel ist, so hat auch die Schicksalsursache eine entsprechende Komponente an Gewalt. Wenn wir heute Opfer sind, so waren wir einmal Täter. Ob wir das heute wissen oder nicht, das spielt dabei keine Rolle. Die Seele trägt diese Gewaltbereitschaft so lange in sich – aktiv oder latent – bis sie wieder aufgelöst ist. Auf jeden Fall ist damit ein tiefer Makel verbunden, der aus der Welt geschafft werden muss, sonst wird das Herz zu Freude, Friede und Glück nicht fähig werden. Schicksal ist nicht als Strafe anzusehen, sondern als Gelegenheit, die Schicksalsursachen irgendwie zu erahnen und wieder aus der Welt zu schaffen. Das Schicksal formt sich also aus unserer eigenen Geschichte und auferlegt uns ein genau abgestimmtes Lernpensum, das uns wieder auf einen Weg im Sinne der Schöpfungsharmonie bringen soll. So gesehen zeigt sich Schicksal als Weg, als Hilfe, als Chance.
Schicksalsbeispiele und ihre möglichen Hintergründe
Nur selten sind die schweren Schicksale aus der aktuellen Lebensgeschichte heraus wirklich verstehbar. Zwar haben sie fast alle - ob Krankheiten, Unfälle oder Behinderungen - körperliche, seelische und charakterliche Hintergründe des Mangels und der Schwäche, die in ihren Ansätzen wohl erkannt werden können, aber das oft lange und tiefe Leid ist für uns daraus nicht wirklich überzeugend erklärbar.
Aus dem tieferen spirituellen Verständnis heraus können wir jedoch mit Sicherheit annehmen, dass hier entsprechend schwerwiegende Geschichten und Prägungen zugrunde liegen, die offenbar erst durch extrem aufwühlende und erschütternde Prozesse der Konfrontation mit Schmerz, Schwäche, Ohnmacht, Sterben und Tod ihre Lösung und Erlösung finden können.
Ein Schicksalsbeispiel, für das uns meist völlig das Verständnis fehlt, sind früh sterbende Kinder. Welchen Sinn könnte das haben? Welche Erklärung oder Antwort – aus spiritueller Sicht und Erfahrung – kann hier angeboten werden?
Der Tod eines Kindes ist für die liebenden Hinterbliebenen meist ein äußerst schmerzhafter Verlust – aufwühlend, fragend, die tiefsten Schichten der Seele berührend. – „Was können Kinder schon getan haben, dass sie so früh sterben müssen?" – Diese Frage kennen wir gut.
Kinder nehmen oft erstaunlich gelassen und mit einer seltenen Reife den Werdegang des Sterbens in Kauf – sie kehren ja wieder in ihren „Himmel" zurück, und das spüren sie irgendwie. Für die Eltern hingegen ist das ein großer Schicksalsschlag - aber auch dieses Geschehen muss seinen tiefen Sinn haben. Sollen die Eltern einen bewussten Schritt in die Richtung machen, in die ihr Kind nun gegangen ist, um sich endlich auch um diese Welt zu kümmern, die ja unser eigentliches Zuhause ist? Sollen durch dieses aufwühlende Geschehen Fragen und wertvolle Antworten möglich werden? Wollte sich das Kind wenigstens kurz zeigen, um die Kraft der Sehnsucht zu wecken? Das wird von betroffenen Eltern oft so empfunden, jedenfalls nach einer gewissen Zeit des Ringens nach Antwort und des Sich-Öffnens in diese Richtung. Der Schmerz wurde geringer und die Verzweiflung verging, sobald sie durch ihren Glauben und durch ihr Spüren in die Welt einzutauchen imstande waren, in die ihr Kind wieder zurückgekehrt ist.
Eine andere Erklärung wäre natürlich noch, dass die Persönlichkeit des Kindes für ihren weiteren Weg eben nur noch diese kurze Strecke des Lernens als Mensch hier auf Erden für eine gewisse Reifung benötigt hat.
Eine selbst für spirituell eingestellte Menschen schwer erklärbare Schicksalssituation ist die geistige Behinderung, vor allem, wenn das Gedächtnis, der Wille oder gar das Bewusstsein nur mehr teilweise oder nicht mehr vorhanden ist – im Alter, nach Unfällen oder Schlaganfällen. Wieder ist Ohnmacht im Spiel, aber hier ein völliges Ausgeliefertsein, weil der eigene Wille eingeschränkt oder nicht mehr da ist. Was hat das für einen Sinn, wenn keine bewussten Aktionen mehr gesetzt werden können, kein bewusstes Leben, Lernen und Reifen? Es ist nur mehr ein Zulassenmüssen – oder ist gerade das der wichtige Lernprozess? Etwas zulassen müssen, was wir freiwillig nie tun würden, weil bestimmte festgefahrene Einstellungsmuster das verhindern würden: Pflegedienste, Liebesdienste, ein mitleidendes Herz, eine sanfte Hand, ein liebevolles Streicheln - ein Therapieren, das die Seele berührt. – Ein bewusstes Umdenken ist hier sicher nicht mehr möglich, aber die verstockte Seele wird bewegt. Und es muss wiederum einen Grund haben, dass das noch im Menschenkleid geschehen soll. Vielleicht, weil bei einer eher materiellen Gesinnung des Betroffenen die Seele über die menschlichen materiellen Ausdrucksformen von Mensch zu Mensch leichter berührt, bewegt und gestärkt werden kann als von nur feinstofflichen Wesenheiten, wie etwa der Schutzengel. – Aus Mitteilungen von „drüben", sei es über Träume oder über sensitive Menschen, die mit Verstorbenen in eine seelische Kommunikation treten können, wissen wir, dass auch die Bewusstseinstrübung und die Bewusstlosigkeit einen tiefen Sinn haben, und dass unsere Zuwendung für den geliebten Menschen gerade auch in diesem Zustand Balsam ist und umwandelnd, lösend und heilend wirken kann.
Nimm dein Schicksal an!
Für keinen von uns ist es leicht, die Einsicht zuzulassen, dass auch die uns treffende Not etwas mit uns selbst zu tun hat. Aber die Erfahrung machen zu müssen, dass Beruhigungstaktiken, Ausweichstrategien und falsche Schuldzuweisungen den Schicksalsweg nicht abwenden können, ist letztlich noch frustrierender, weil man schließlich einsehen muss, dass ja dadurch der Leidensweg nur noch verlängert wird.
Zu jeder Zeit haben kleine und große Beispiele gezeigt, dass Leid immer eine bedeutende Rolle dort spielt, wo Veränderungen schon längst notwendig wären, wo aber keinerlei Initiativen in die richtige Richtung unternommen werden, nämlich zu einer größeren Liebesfähigkeit zu gelangen – nur das kann die richtige Richtung sein. Dann tritt das Schicksal mit seiner gestaltenden und verwandelnden Kraft auf den Plan. Erschütterungen reißen dicke Mauern ein, anhaltendes Leid klopft Härte weich und hartnäckige Lebensumstände blockieren einen gewählten Weg oder lenken ihn um, wenn ein besserer vorgesehen ist. Was Hammer und Meißel in der Hand des Bildhauers vollbringen, das will das Schicksal an uns vollziehen, wenn wir zu dem eigentlich leichteren Weg der Freiwilligkeit nicht bereit sind. – Unsere Chance ist dann, ein Gespür für das sinnvolle Leid zu bekommen und es anzunehmen, um dann aus dem Leid heraus zu der uns zugedachten Einsicht zu gelangen. Dieses Drängen, Schieben und Zwingen der Lebensumstände ist nur immer wieder darauf ausgerichtet, so zu werden wie wir werden sollen: „Der Zweck des Zwanges ist die Freiheit" und die wahre Erfüllung, nach der sich jeder von uns sehnt.
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