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Depressionen

Wie können wir ihnen begegnen?

Dr. Peter Kobosil

Jeder von uns kennt Zeiten der Freude, des Mutes und der Hoffnung. Wir fühlen uns in dieser Zeit innerlich frei und gelöst. Alles scheint in Fluss und in Ordnung zu sein.

In unserem Leben gibt es aber auch Tage, in denen wir mit ganz anderen Gemütszuständen zu tun haben. Unser Seelenleben kann auch eng und bedrückend werden – als Reaktion auf leidvolle Erlebnisse oder auf düstere Zukunftsprognosen und Sinnlosigkeitsgefühle - aber auch ohne erkennbare Gründe kann es zu so einer inneren Düsternis kommen. Das, was uns gestern noch beglückt und erfüllt hat, sehen wir heute durch eine dunkle Brille, die keine Farben und kein helles Licht mehr zulässt.

Die Ursachen solcher Zustände sind meist sehr komplex und undurchsichtig zusammengesetzt, ähnlich wie die Ursachen eines Krebsgeschwürs. Und nur in seltenen Fällen ist es zielführend, einfach das Geschwür zu entfernen oder es durch Medikamente oder Strahlen zu zerstören. Genauso wenig dauerhaft erfolgreich ist meist die alleinige Behandlung der Depression durch entsprechende Psychopharmaka. Das sind nur Notlösungen, die sehr schnell mit einstellungs- und verhaltensändernden psychotherapeutischen Therapien kombiniert werden sollten, um das Übel auch an der Wurzel packen zu können.

Die depressiven Verstimmungen entstehen nie ohne Grund. Auch hier gilt das Gesetz von Ursache und Wirkung, auch hier müssen entsprechende Voraussetzungen da sein, die diese Gemütszustände bewirken oder zulassen. Alles hat einen Sinn, eine Bedeutung, auch wenn vieles erst aus einem tieferen und weiteren Gesamtzusammenhang heraus verstehbar wird.

Jeder von uns kennt bedrückende Phasen, die nur kurzzeitig auftreten – Stunden oder auch einen Tag lang – sie halten an, bis die bekannte Ursache wieder beseitigt ist. Oder sie kommen und gehen, ohne das Warum zu erkennen. Wir neigen dann dazu, sie als Gemütsschwankungen zu bezeichnen und meinen damit Zustände, deren Grund wir nicht durchblicken.

Wenn bedrückende Phasen nicht nur kurzfristig auftreten, sondern längere Zeit anhalten – Tage, Wochen oder sogar Monate – dann sprechen wir von Depressionen, die in unterschiedlichsten Formen und Intensitäten und mit vielen verschiedenen, typischen Erkennungsmerkmalen (Symptomen) auftreten.

Wie zeigt sich eine Depression?

Meist durch mehrere Erscheinungsbilder – dazu gehören: Gefühle der Niedergeschlagenheit, Gefühle der Sinnlosigkeit, Ängste, Auftreten einer inneren Leere, Ermattung, und damit verbunden Interesselosigkeit, Minderwertigkeitsgefühle und als Reaktion Abkapselung von außen, Schlaflosigkeit, Gewichtsverlust, mangelnde Konzentrationsfähigkeit und oft beispiellose Traurigkeit bis hin zu Verzweiflung und Gedanken aus dem Leben scheiden zu wollen.

In schweren Fällen zeigt sich ein Nicht-mehr-fühlen-Können, Nicht-traurigsein-Können und Nicht-weinen-Können und bedrückende Angst davor, dass Pflichten versäumt werden sowie Angst vor dem banalen Alltäglichen, das unbewältigbar erscheint. Der Kranke erlebt die vor ihm liegende Zeit als endlos gedehnt, zukunftslos und somit hoffnungslos. Mimik, Gestik und Sprache drücken Angespanntheit, Entschlusslosigkeit und Hoffnungslosigkeit aus.

Medizinische Behandlung

Bei leichten bis mittelschweren Depressionen sollte zunächst an eine Anwendung von pflanzlichen Arzneimitteln als Unterstützung einer psychotherapeutischen Betreuung gedacht werden.

In schweren Fällen sind die ärztliche Behandlung und der Einsatz von Psychopharmaka (antidepressive Arzneimittel) ratsam – für die vielen Variationen von Depressionen steht eine große Zahl von unterschiedlich wirkenden (stark beruhigenden, dämpfenden, stimulierenden, Antrieb steigernden, Angst lösenden) Mitteln zur Verfügung.

Psychotherapeutische Begleitung

Die führende und stützende Psychotherapie ist eine wichtige Ergänzung der medikamentösen Therapie. Der Depressive braucht eine Begleitung, die sich von keiner Krise entmutigen und von keiner Verzweiflung des Patienten beeinflussen lässt, die sozusagen stellvertretend für den verzweifelten Patienten die Phase durchhält. Auch der absolut hoffnungslos erscheinende Patient, der jeden Zuspruch in den Wind schlägt, wartet in seiner Hilflosigkeit doch auf die Versicherung, die Depression werde zweifellos wieder abklingen (das wird sie auch, aber nach welchem Zeitraum kann niemand voraussagen). Auf die Wiederholung dieser Zusagen ist er angewiesen, auch auf wiederholte Information über Einzelheiten der Krankheit und Behandlung. Äußerungen von Patienten nach der Phase sind zu entnehmen, dass der Therapeut mehr Halt und Zuversicht vermitteln konnte, als er selbst anfangs annahm.

In dem Vorwort zu seinem Buch „Depression – Wege aus der dunklen Nacht der Seele" von dem Mediziner Rüdiger Dahlke findet sich u.a. ein Satz, der einerseits Mut macht, aber andererseits auch eher düstere Prognosen wiedergibt: „Aus der Psychotherapie kenne ich viele Mut machenden Erfahrungen, vermittelt von Patienten, die nach dem Erlebnis der dunklen Reise nicht nur wieder in ihr vorheriges Leben zurückkehrten, sondern deutlich gereifter und glücklicher waren. Es wäre zu wünschen, dass ein solches Zurückkehren häufiger gelingt, denn dieses Thema kommt heute wie eine mächtige Welle auf uns zu".

Auch die zunächst unverstandene Depression hat ein Ursache

Der psychotherapeutische Erfahrungsschatz kennt verschiedene Ursachen und Auslöser der Depression und der Therapeut versucht, zusammen mit den Betroffenen, die jeweils konkreten Ursachenkomplexe herauszuarbeiten, um Maßnahmen anbieten zu können. Im Prinzip beruhen diese Angebote immer auf konfliktlösenden, lebensbejahenden, persönlichkeitsfördernden und sinnerfassenden Grundthemen.

Um für Leid und Schicksal und auch für „unverständliche Depressionen" einen Sinn finden zu können, bedarf es der Akzeptanz des geistigen Gesetzes von „Ursache und Wirkung" (d.h., dass jede, auch unverständliche Erscheinung eine Ursache hat) und es bedarf einer Unvoreingenommenheit, damit das innere Spüren (ein klares Erkennen von Sinnzusammenhängen ist in vielen Fällen nicht möglich) kommen kann, dass diese schicksalshafte Auseinandersetzung mich betrifft, mein Thema ist und dass sie nicht zufällig in mein Leben tritt, sondern geistige Reifungs- und Heilungsprozesse bewirken soll. Und es bedarf des im Menschen an sich liegenden Urvertrauens in eine höhere Weisheit, das dem Leben und seinen Ereignissen den Status der Gerechtigkeit zubilligt. Erst dann bin ich imstande, zuallererst bei mir nach den Ursachen zu fragen und den „schwarzen Peter" nicht anderen oder Gott in die Schuhe zu schieben.

In unserer Seele befinden sich viele Inhalte, von denen ich nicht weiß, wie sie zustande gekommen sind. Wir können sie zwar als vorhanden registrieren aber selten konkretisieren. Erst nach und nach treten sie zu Tage: Stärken und Fähigkeiten, aber auch unangenehme Dinge, die mir zu schaffen machen wie Angst, Schuldgefühle, Zwänge und Charakterschwächen.

Die Psychotherapie kennt heute Möglichkeiten, Ursachen von Ängsten, Schuldgefühlen oder Depressionen konkreter auf die Spur zu kommen, wodurch der Betroffene Mut und Motivation für lösende Denk- und Verhaltensweisen erhalten kann.

In hypnotischer Tiefenentspannung können sich jene Seelenfenster öffnen und Einblick in nicht mehr bewusste Vergangenheiten gewähren, in denen die Ursachen für heute erwachende Nöte gelegt wurden.

Die Seele vergisst nichts, alles Erlebte ist gespeichert, Angenehmes und Unangenehmes, – es steht zur Verfügung, wenn es gebraucht wird und es kommt ans Tageslicht, wenn etwas verbessert, korrigiert und aufgelöst werden soll. Da kommt Angst wieder hoch, Abneigung ist zu spüren oder auch Zuneigung, ohne dass wir das mit unserem Verstand wirklich erklären können. Oder wir begegnen Menschen, die wir zu kennen glauben, obwohl es nicht in unserem Bewusstsein liegt, ihnen schon einmal begegnet zu sein, oder wir haben manchmal Ahnungen mit Gefühlen der Anziehung oder Abwehr an Orten, an die wir uns bewusst nicht erinnern können. Und viele unserer Fähigkeiten, Tugenden und Talente liegen nicht mehr nur in Form von Anlagen in uns, sondern sie haben schon ein gewisses Maß an Entfaltung erreicht und zeigen sich manchmal in ausgeprägter Form schon in frühester Kindheit, ein Phänomen, das uns wundert und uns dazu veranlasst, solche Kinder als „Wunderkinder" zu bezeichnen. Aber auch Charakterschwächen fehlen nicht, und es zeigen sich schicksalhafte Zwänge, Schuldgefühle und Ängste, auch oft schon von Kindheit an. Jeder von uns bringt seine eigenen Geschichten mit, die im Erdenkleid ihre Fortsetzung finden, indem sie sowohl frohe Lebensabschnitte in die Wege leiten als auch notvolle Schicksale.

Dieser Auffassung zufolge gibt es keine unrealistischen Gefühle der Sympathie und Sehnsucht oder der Abneigung und Angst, weil sie alle auf realistischen Geschehen beruhen, die, sofern Not und Schmerz daraus erstanden sind, wieder mit „guten Taten" ausgeglichen werden müssen. Diese Zustände, unter ihnen auch die Depressionen, werden sich immer wieder so lange zeigen, bis eine neue Stärke in einem sinnvollen Leben solchen Nöten keinen Platz mehr lässt – ein Leben, in dem Tugendkraft, Freude und Anbindung an eine höhere Weisheit ein Rolle spielt.

Jede Depression hat auch ein gegenwärtiges Thema

Dieses Thema wird je nach Art und Schwere der Depression im Konkreten unterschiedlich sein, immer handelt es sich jedoch um Verweigerung lebenswichtiger Inhalte, wodurch gesunde seelische Prozesse nicht wirkliche ablaufen können und die so notwendige Selbstverwirklichung nicht möglich ist.

Jeder von uns, der unter Depressionen leidet, sollte sich folgende grundsätzliche Fragen stellen: „Habe ich meinen eigentlichen Lebenssinn aus den Augen verloren? Sind meine Hauptthemen, die mir in meinem Leben immer etwas bedeutet haben, zu Nebensächlichkeiten geworden? Wonach sehne ich mich im Tiefsten meines Herzens? Was soll ich in meinem Leben zur Verwirklichung bringen? Was hindert mich daran und welche Kraftquellen nehme ich nicht in Anspruch? Kann ich belastende Erfahrungen sowie Ängste, Schuldgefühle oder Trauer nicht loslassen? Fällt mir Vergeben und Verzeihen schwer?"

Innere Leere und Antriebsschwäche gehören zum Grundsymptom der Depression und dementsprechend folgerichtig ist der Schluss, dass den Depressionen mit grundlegenden geistig-seelischen Kraftquellen und mit Lern- und Reifungsprozessen begegnet werden kann.

Die Seele braucht die direkte Berührung mit dem Lebendigen

Sie braucht den Austausch der Energien zwischen Mensch und Mensch als Seelennahrung durch herzliche, frohe und liebevolle Begegnungen, aber auch die unmittelbare, hautnahe Herausforderung, die der Seele Formung und Widerstandskraft verleiht. Und die Seele braucht die lebendige Ausstrahlung der schönen, bunten, kraftvollen und heilenden Natur, die wir mit offenem Herzen in uns hineinlassen und speichern können, und sie braucht die Anbindung an eine göttliche Weisheit, die Schutz und Halt gibt und richtungsweisend ist.

Wenn uns also die Fragen quälen: „Warum so ein Schicksal"?, das ja geradewegs zu Depressionen führen muss und „Warum solche Depressionen, die ohne ersichtlichen Grund kommen und gehen"?, dann bieten die hier dargelegten Anregungen Chancen, Antworten zu finden.

Ganz gewiss ist es relativ schwierig, während einer depressiven Phase an sich zu arbeiten, um der Depression zu begegnen. Aber in dieser Zeit bewusst zur Kenntnis zu nehmen, dass Mängel vorliegen und Fehler gemacht werden und einiges getan werden kann, um Körper und Seele in einen stabileren Zustand zu führen, das wäre die rechte Einstellung und der richtige Vorsatz für die Zeit danach, um der Depression die Stirn bieten zu können.

Verwendete Literatur:

Dahlke R.: Depression – Wege aus der dunklen Nacht der Seele, Goldmann-Verlag 2006

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